freistil
carte blanche für geistigen zinnober
- Fanalistisch. Eine einschlägige Begegnung mit der Literaturchimäre Morrison Lewis.
- Armer Schwarzer Kater oder Bei wieviel Grad Fahrenheit brennt der Nubbel?
- Spurensuche auf der Rue Boris Vian. Eine surreale Tiefgarageneinfahrt.
- F5 für LP10. Ein Fußball-Schwank aus den Transfergerüchteküchen.
Fanalistisch
Eine einschlägige Begegnung mit der Literaturchimäre Morrison Lewis

Der erste Tropfen Bier hatte sich noch nicht ganz seinen Weg durch die wölfische Augenbraue gebahnt, da flogen bereits die Fäuste. War nicht unbedingt mein Ding, in schlagartig ausufernden Kneipenraufereien die physische Überzeugungskraft meiner vom Romanedurchblättern gestählten Finger zu beweisen. Doch die von meinem Blickwinkel, dem oberen Ende des Tresens, aus ermittelte, ausweglose Situation des Helden der nun folgenden Zeilen verpflichtete mich geradewegs einzuschreiten.
Armer Schwarzer Kater
oder Bei wieviel Grad Fahrenheit brennt der Nubbel?

Ich gebe zu: Der Nubbel hat mir dieses Jahr ganz schön heftig mitgespielt. Hat sich einen feuchten Kehrricht darum geschert, dass der Februar ein verdammt kurzer Monat ist und dementsprechend der Vorhang namens Redaktionsschluss für diese Kolumne überaus früh fällt. Stattdessen hat er mit der ersten Sekunde des Straßenkarnevals – und der beginnt bekanntlich Weiberfastnacht in Köln-Nippes bereits um 9 Uhr 11 – eingeschenkt, als wäre der Anfang schon das Ende vom Lied.
911 Lieder später ist das Ende der Anfang vom Lied. Kein garstiger Noro, kein Grippeüberfall und auch keine bei Toreschluss eingefangene Fischvergiftung können als Entschuldigung herhalten. Im Gegenteil: Die aschermittwöchlichen Konterbiere haben das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht. Hirnsalat statt Buchstabensalat. Das schwarz auf Weiß Gedruckte vollführt einen Tanz der Hyroglyphen, der langsam aber sicher die Statur eines ausgewachsenen Katers annimmt. Was bleibt mir anderes übrig, als den Stapel mit der zur Besprechung eingeplanten Prosa dezent beiseite zu schieben und zu jenem mit den Bildbänden zu kriechen.
Spurensuche auf der » Rue Boris Vian«
Eine Tiefgarageneinfahrt in die surreale Welt eines hyperaktiven Genies

Paris, Saint-Germain-de-Près. 9. März 1995. Nacht. Im gelben Schein der Straßenlaternen sitzt ein trunkener Amerikaner im Rinnstein und weiß nichts mehr. Seine Gitarre scheppert jämmerlich. Vereinzelte Nachtschwärmer ziehen an ihm vorüber. Ein Abend in der Woche im Viertel. Die Bar gegenüber ist ebenso spärlich frequentiert. Allein die Zigarettenstummel vor dem Tresen scheinen eine Massenparty zu veranstalten.
„Ach ja, Bor-iiis“, der Wirt kann sich erinnern, „ja, ein verrückter Kauz. Hat sich früher hier endlos rumgetrieben.“ „Der Musiker?“ fällt ein schwankender Greis in Seemannskluft ins Gespräch ein. „Auch. Schriftsteller, Musiker...“, der Barmann gibt mehr oder weniger sicher Auskunft über die unzähligen Tätigkeiten des hyperaktiven Surrealisten, über seine Anstellung bei der AFNOR, dem französischen DIN-Institut, bei der Jazz-Abteilung des Labels Fontana, verweist auf Theater und Film, sowie immer wieder dessen Trompete und die ausufernden Parties, doch „Geburtstag? Der 75.? Von heute auf morgen? Mag sein, aber feiern tut den niemand mehr …“
F5 für LP10
oder Des Wahnsinns fette Beute, 1. Akt
Für den ‚echten' Fan war die EURO nur Volkstheater. Das Exempel 1. FC Köln zeigt, dass sich das ‚wirklich' große Theater in der Bundesliga-Sommerpause auf den Bühnen der online-Gerüchteküchen abspielt.

Gut, ich gebe zu: Nett ist es gewesen, amüsant und durchaus unterhaltsam, dieses Volksfest namens EURO2008. Türken und Deutsche haben sich, ganz im Sinne der Politik, die Hände gereicht und gemeinsam den Straßenverkehr in den Städten lahm gelegt. Ja, selbst orangefarbene Wohnwagen wurden auf ihrem Heimweg aus den Alpen mit einem wohlwollenden Lächeln bedacht. Europa ist zusammengerückt, hat gemeinsam gefeiert und jubiliert. Zwischendurch gab es sogar ein paar sportliche Schmankerl zu genießen. Und natürlich hat es auch was für sich, als FC-Fan endlich einmal mit Gladbacher und Schalker Kollegen gemeinsam und nahezu einträchtig ein und dasselbe Fußballspiel zu verfolgen.
Nahezu einträchtig, denn die Europameisterschaft kann das Sommerloch der Bundesliga nur notdürftig stopfen. Die schwarz-weiß respektive schwarz-rot-gold gewandeten Spieler auf der Mattscheibe bieten in ihrer Tarnkleidung natürlich nicht den emotionalen Nährwert, nach dem es den Vereinsfan dürstet. Warum sollte ausgerechnet ich mich über ein Tor von Neuville freuen? Es fällt mir ja schon schwer genug, den abtrünnigen Prinzen für drei Wochen wieder als meinen Regenten ins Herz zu schließen. Und: Wer oder was sind Oliver Pocher und Christiane Stürmer schon gegen die Höhner oder die Bläck Fööss? Nein: Wir wollen die Mannschaft sehen; und zwar die eigene, gespickt mit neuen Stars und Verstärkungen, die wir uns nichtmal oder vielmehr in unseren kühnsten Träumen erhofft haben beziehungsweise erhoffen. Und genau da spielt das große Theater in der Sommerpause: in den online-Gerüchteküchen und -Fanforen, wo über mögliche Neuzugänge und deren Qualitäten ge-fach-simpelt wird.